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Kapitel 43 * Tyler Durden

Teigiges Gesicht. Groß. Schwitzen. Helmut trug ein passendes kariertes Hemd zu diesem Namen und knetete seine Hände auf den Schenkeln einer beigefarbenen Hose.
Stretch. Autofahrerhose. Viel unterwegs. Düsseldorf. Außendienstler. Vertrieb Futtermittel irgendwas.
Seine Augen flackerten wild in der Runde daher. Sylvia neben ihm, hatte die Schultern eingezogen. Knöchellanges Batik irgendwas und Sandalen. Neben Helmut sah sie aus wie eine der zwölf Waldelfen, die sich aus dem bergischen Land hier in die Stadt verirrt hatten. Vielleicht Pilze? Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe.
„Weshalb sollte mich das interessieren?“
Friedjof war der Hibbelige links von Mushroom Sylvia und so dünn, dass man neben seinen Armen die Stuhllehne sah.
„Wieso muss ich mir das anhören!“
Friedjof keifte herum, was ihm viele böse Blicke im Kreis brachte aber auch zustimmendes Stöhnen.
„Friedjof, bitte. Du kennst die Regeln.“
Mehr musste Stefan gar nicht sagen, der sich mit übereinander geschlagenen Beinen und Strickjacke optisch nicht weiter aus der Runde abhob.
„Okay Chefe…“
„Aber…“
Friedjof hatte mit ein wenig Verzögerung die Autorität in Stefans Blick empfangen und zog sich wieder in den Schatten der Stuhllehne zurück.
„Wir alle hier teilen und wir alle hier geben und nehmen.“
Stefan, Diplom-Psychologe mittleren Alters, mit Schnauzbart und offenen Hemd unter dem ab und an ein Goldkettchen aufblitzte, markierte mit diesem kurzen Satz die Regeln des Gesprächskreises und zeichnete mit offenen Händen einen Winkel zwischen Friedjof und Helmut. Dieser war erstarrt und schwitzte vor sich hin, nahm die Geste aber als Signal, um mit seiner weinerlich monotonen Stimme sein Blitzlicht fortzuführen.
„… dann mache ich mir in der Mikrowelle ein FROSTA Gericht warm. Es ist wichtig dabei nicht mehr als 8 Minuten bei 800 Watt einzustellen…“
Helmut sollte sich teilen und das tat er mit aller Inbrunst. Minutenlang. Jan sah sich um.

„Wir kaufen uns Dinge mit Geld, das wir nicht besitzen, um Menschen zu
beeindrucken, die wir nicht mögen…“

Preisschilder erschienen an den Möbeln, die Jan im Hintergrund betrachtete.
Eine Schrankwand- nicht IKEA -2495.- D-Mark
eine Sitzgruppe-Leder mit Glastisch 3000,- D-Mark
ein flauschiger Teppich, grau blau, edel… ca 2000,- D-Mark
Tyler Durden war verbrannt, ausgehölt und abgestumpft. Was war Jan? Er saß im 4. Stock eines 70er Jahre Baus, im inneren Kreis der Kölner Innenstadt. Blick auf den Dom. Ruhige Lage. Domblick war ar gar nicht so selten in der flachgebombten Stadt, die sich gekachelt wieder aus dem Staub erhoben hatte. Sein Kopf summte, war vielleicht auch leer. Er hatte keine Ahnung. Tyler Durden schaute auf die Dinge und sah ihre Werte, Jan starrte in den Raum und sah durch die Menschen und Worte hindurch.
„Himbeergeschmack ist meine Lieblingssorte…“
Helmut sprach sonor von seinen Nachtischvorlieben. Fridtjof schnaufte. Eso-Sabine grinste dämlich. Die anderen drei Frauen und Männer waren im Sichtfeld verschwommene Schemen. Wenn diese sich auch noch öffnen würden, hätte Jan überhaupt nichts dagegen. Besser als alleine ins Alleinsein starren. Zuhören und nicht dasein. Wären heute nicht Gruppe, wäre er jetzt Laufen. Oder er säße im Kino. Vielleicht auch kiffen oder ficken.
„Danke. Helmut.“
Stefan hatte das gesagt und wohl gerade im rechten Moment Helmuts Achterbahnerzählung vom Stumpfsinn des Lebens als geschiedener fettleibigen Mann im Außendienst für einen Futtermittelhersteller unterbrochen.
Friedjof hatte sich auf dem Stuhl in embryonaler Haltung zusammengerollt und den letzten seiner Fingernägel abgebissen. Sylvia und die anderen klatschten brav in die Hände und bestärkten Helmut in seiner schonungslosen Offenheit des sich Öffnens und Monologisierens über Mahlzeiten.
„Was können wir daraus lernen?“
Jan schreckte auf. Friedjof schnaufte. Es war üblich Helmut jetzt zu spiegeln. Jeder war angehalten das Erzählte durch einen kurzen Kommentar positiv zu verstärken.
Jan hatte sich bis jetzt in allen Sitzungen mit Allgemeinplätzen daran beteiligt.
„Das kenne ich… „
„Das macht nichts. ist mir auch schon passiert…“
„Das kenne ich. _“
Sowas zu sagen kostete nichts und tat nicht weh. Das war Teil der Gruppe und ihrer Regeln und damit bezahlte man quasi den Eintritt.
„Du bist widerlich und unglaublich unwürdig!“
Es schoß aus Jan heraus. Er hatte es so gedacht und dann auch laut gesagt. Klirren. Eisige Kälte… Ein Riss durch die stickige Luft. Alles konnte man in die Sekunden hinein interpretieren, die jetzt in der Vergangenheit verschwanden.
„Ja.“
Stefan warf einen Blick in Jans Richtung und deutete ihm zu schweigen, aber Helmut war schon gebrochen und brach schluchzend in Tränen aus. Friedjof sprang in dieser Sekunde von seinem Stuhl auf und fing an, wie ein Irrer zu lachen.
„Fett!“
Nur ein kurzes Wort ausgespuckt dazwischen. Ja, die Hölle konnte so schnell entfacht werden. Es war so einfach.
„Also, das war jetzt ja echt daneben…“
Sylvia entzürnte sich, weitere Stimmen erhoben sich. Jan hörte nur das Rauschen, er hatte das Feuer entfacht. Helmut brach weinerlich in Tränen zusammen, während Stefan seine Zettel auf dem Schoß sortierte und nach den richtigen Stilmittel für den
Eklat suchte. Dabei fasste er sich erst an die Nase und spielte dann an seinem Goldkettchen.
„Ich gehe mal eine Rauchpause machen. Kommst du mit?“
Friedjof war von seinem Derwisch-Trip offenbar wieder runter und stand
neben Jan, der inmitten des Orkans auf seinem Korbstuhl verharrte.
„Jo.“
Jan hatte keine Lust auf den Domblick, aber dafür hatte man die Terrasse
schließlich mal gebaut. Gemeinsam stand er mit Fritjof vor dem Geländer und schaute auf das verschotterte, hässliche Dächermeer, das sich vor dem Doppelspitzen der
Kölner Kathedrale aufspannte.
„Wie bist du denn drauf?“
Friedjöf zog eine P+S aus einer Packung und bot diese Jan an.
„Wie soll ich drauf sein?“
„Na, das eben war ja schon ein Massaker. Helmut ist sicherlich gleich zerflossen.“
„Ich glaube, das wird ihn heilen, glaube mir.“
Jan zog an dem einen Stengel und brachte die Glut zum Knistern. Er hielt den Kopf in den Nacken und zielte mit der Zigarette genau zwischen die beiden schwarzen, verkohlten Domspitzen. 600 Jahre hatten sie an dem Rotz gebaut und dabei unendlich viel Geld und Leben verschwendet, nur damit das Ding heute die Stadt von weiten überragte und Touristen aus aller Welt anzog. Friedjöf schaute in die gleiche Richtung wie Jan und kicherte.
„Wie heilen? „Friedjof knuffte Jan in die Seite.
„Meinst du der nimmt jetzt ab? Und redet keinen Scheiß mehr!“
Jan dachte an Nonnen, die sich vor dem Dom neben Asiatinnen in Schulmädchenuniformen fotografieren ließen und an englische Bomberpiloten, die über Köln die Luken ihre Bombenschächte öffneten. Feuer, Flammen,Rauch. Massaker.
Der schwarze Dom in seinem obszönen Schwarz warf einen langen dunklen Schatten auf den nachtdunklen Rhein. Glutfunken flirrten durch das Bild.
„Wie? Nein, ich hatte einfach nur Bock auf ein bischen Stress.“
Jan blies den Rauch in den Abendhimmel und lächelte Friedjof an.
„Pogo in Togo!“
„Africola in Angola?“
Friedjof zitierte die 80er und summte die Takte von United Balls „Pogo in Togo“
„Ich glaube hier wird niemand mehr gesund.“
„Lass uns wieder reingehen – ich werde mich entschuldigen.“
Jan drückte die Zigarette in Ascher aus und drehte sich in Richtung des Seminarraums.
Dort sah man das Gewusel der anderen Gruppenmitglieder schemenhaft durch die Scheiben. Ob das eine gute Idee war, wollte Jan gar nicht erst diskutieren. Er ließ Friedjof nur die Wahl ihm zu folgen und schritt durch die Tür. Ohne die eiseskalte Stille zu beachten, die das hektische Gemurmel unterbrach, ging er an Stefan vorbei auf Helmut zu. Dieser hatte das Heulen wieder eingestellt und saß umgeben von tröstenden Damen auf seinem Korbstuhl. Verängstigt blickte er in Jans Richtung.
„Es tut mir aufrichtig leid, was ich eben gesagt und getan habe.“
Jans Worte kamen klar und deutlich.
„Ich wollte und musste ganz dringend einmal Arschloch sein, weil ich in
meinem ganzen Leben das noch niemals war.“
Sylvia und eine der anderen Schranzen, schnaubten und richteten sich
bedrohlich in Jans Richtung auf.
„Es tut mir aufrichtig leid, ich weiß, das war nicht der richtige Zeitpunkt.
und ich werde dafür sorgen , dass es nicht noch einmal passiert.“
Dabei trat Jan, ohne die Umstehenden zu beachten auf Helmut zu und
umarmte dessen massive Schultern.