„Na, war doch gar nicht so schlimm, oder?“
Büscheling schob sich seinen Notizblock in die Gesäßtasche und bog um die zwei Meter breite Hecke der Villa. Hinter sich hatte er Rudolph im Schlepptau, die sich noch mit einem Winken bei der alten Dame am Fenster verabschiedete. Sie hatten eine Stunde damit zugebracht den Anekdoten Frau Schwartaus zu folgen und dabei den „Tatort“ zu sichern. Neben diesem stand nicht unpraktisch ein Gartenpavillon, in dem eine gute Seele von Hausangestellter Kaffee und Franzbrötchen kredenzte, während Freifrau von Schwartau, die Geschichte ihrer Familie vom 30-jährigen Krieg bis zum gestrigen Anschlag auf ihre Regentonne wiedergab. Büscheling hatte seinen Block wieder im Einsatz und ließ seine „Assistentin“, wie Frau Schwartau sie wohl eingangs kurz genannt hatte, die Spuren aufnehmen. Offenbar gab es tatsächlich ein paar Fußabdrücke von Turnschuhen und zwei leere Flaschen Alkopops, die den Verdacht erhärteten, dass jugendlicher Leichtsinn ca. 5000 Liter butterweiches und antikes Regenwasser vernichtet hatten.
„Und ein Beet mit Horthensien“, wie Rudolph noch geflissentlich unter Schäden im Protokoll vermerkt hatte. Die waren komplett ausgespült und lagen flach entwurzelt auf dem angrenzenden Rasen. Nach einer Stunde Konversation und der nachdrücklichen
Versicherung, dass man dem Vorfall verfolgen würde, hatte Büscheling seinen seniorigen Charme wieder eingefahren und versucht sich und „seine reizende Assistentin“ aus dem oberschlesischen Hörsaal zu entlassen. Als er sich aus den Tropenholz-Sesseln erhob, die aussahen als hätten sie zu Kaisers Zeiten auf einer afrikanischen Plantage gestanden, landete er allerdings keinen Volltreffer bei Freifrau von Schwartau: „Wir müssen uns schließlich auch noch um andere bösen Buben kümmern.“
Die Dame zog ihre bis zur Unerträglichkeit geglättete Stirn etwas kraus und ließ dann abrupt die Mundwinkel fallen. Behände erhob sie sich und schritt damenhaft aus der Szene. Dabei zischte sie Büscheling über die knochige Schulter an:
“…und vergessen sie ja nicht, das Aktenzeichen hier zu lassen, damit ich die Sache gleich an meinen Anwalt geben kann…“
Hamburger Pfeffersäcke halt! Büscheling ließ mit dem Chip die Autotür aufpeppen und schritt durch die Gartenpforte.
„Nicht schlimm!“, Rudolph legte nach dem Verlassen des Grundstücks ihre Contenance ab.
„Nicht schlimm!?“, zischte sie leise Büscheling zu, so dass es niemand sonst hören konnte. Die Hecken hier in Blankenese waren eine Spezialzüchtung, aber Schallschlucken war nicht ihr Spezialgebiet. Beide rutschten in den Wagen, der schon ein bisschen mehr Schutz gab, und Rudolph feuerte ihre Aufzeichnungen und Dienstmütze in das geräumige Fach vor ihren Knien.
„Na na na, Frau Kommissaranwärterin Rudolph…“, setzte Büscheling ein und ließ den Wagen gemächlich anrollen.
„Die alte Krähe spinnt wohl! Was glaubt die denn wer wir sind und womit wir so unsere Zeit verbringen!”
Rudolph kam in Fahrt, was Büscheling allerdings nur zu gut verstand.
„Die soll ihrem mexikanischen Gärtner, den sie wahrscheinlich im Zwinger hält, die Tonne wieder auffüllen lassen und uns nicht mit so einem Mist belästigen!“
Das wird der ganz große Rundumschlag.
„Wir haben jetzt eine Stunde bei diesem Vampir verdaddelt und da hätte ich lieber Katzen aus dem Baum gerettet oder Fahrraddiebe gejagt.“
„Das kann meine Assistentin also auch ?“
Büscheling steuerte den Streifenwagen gemächlich durch den Zick-Zack-Parcour der parkenden Gartenbaufahrzeuge. Große Hecken brauchten große Scheren, und große Gärten brauchten Gärtner und gaben schöne Rechnungen am Anfang und Ende eines jeden Sommers.
„Oh, mach mich nicht noch wütender!“, Rudolph boxte Büschelings rechten Oberschenkel. Und das schmerzte nicht wenig bei einer trainierten Kampfsportlerin.
„Au! Ich glaube ich muss mir die Dame mal zur Brust nehmen und züchtigen! Au!”
Büscheling war ein harter Hund und musste an seine jungen Jahre im Dienst denken. Ja, wie hieß es so schön: es gab gerecht und es gab gerechter. Rudolph schmollte und blätterte in den Einsatztickets. Der Funk war leise und sie hatten keine aufgelaufenen Notrufe oder “Calls”.
„Schau mal da oben auf das Ticket.“
Ohne die Straße aus dem Blick zu lassen deutete Büscheling auf den eben quittierten Auftrag.
„Das „P“, das Klotz da drauf gekringelt hat, rate mal, wofür das steht.“
Büscheling lehnte sich am Steuer zurück und ließ Rudolph grübeln. Rudolph schnaubte. Sie hatte das “P” dort natürlich schon längst entdeckt, es aber nicht einer Frage wert befunden. Sie konnte nicht glauben, womit sie gerade eben ihre Zeit vergeudet hatte und ließ den Blick durch die endlose Reihe der Hecken streifen. Hier standen Milliardenwerte an Nach- oder auch noch Vorkriegsimmobilien und stanken einfach nur nach Geld und Stagnation. Wenn auch nur in jeder zweiten Villa solch ein Drachen neben einer Regentonne hauste, würde sie direkt nach dem zweiten Lehrjahr ihre Versetzung nach Billstedt oder Wilhelmsburg einreichen. Sie wollte Menschen helfen und nicht irgendwelchen gelifteten Hundertzehnjährigen die Fotos für den
Versicherungsvorgang machen. Der Drache eben sah aus, als wenn er mehr Botox und BUHON als Blut im Körper hatte und auch wenn die Freifrau sicher mal eine richtig hübsche Perle gewesen war, hatte sie den Absprung Richtung würdigen Alterns eindeutig verpasst. Davon zeugten die gut versteckten, aber doch zu erahnenden Narben unter dem Haaransatz im Nacken und hinter den Ohren, die Rudolph nicht verborgen geblieben waren. Hier hatte einer der circa 200 Hamburger Schönheitschirurgen, die sicher auch hinter einer der Hecken residierten und zur Tarnung ein paar Kinderspielgeräte im Garten aufgestellt hatten, sein Werk vollbracht – vielleicht sogar im Rahmen der Nachbarschaftshilfe. Rudolph war gerade ein bisschen übel und sie hatte überhaupt keine Lust über das “P” nachzudenken. Sicher eh nur einer der dämlichen Bullenwitze. Der Polizeiwagen rollte gemächlich die endlose Reihe der Prachtbauten entlang und so mancher der zahlreichen, geschäftigen Gärtnergehilfen erstarrte bei dessen Anblick. Sicher waren nicht alle, der mit großen Baumsägen und elektrisch betriebenen Heckenhäckseler ausgerüsteten, Aushilfen krankenversichert und vielleicht auch noch nicht mal polizeilich gemeldet. Aber dafür gab es die Kollegen vom Zoll und Arbeitsamt.
„Das „P“ steht für Präsenz!“, sagte Büscheling und grinste dabei einem südländisch aussehenden Rasenmähermann an, der gerade beim Abladen eines Gerätes von einen Anhänger zur Salzsäure erstarrt war.
„Unser lieber Einsatzleiter hat in seiner großen Weisheit die Aufgabe uns auch in bestimmte Viertel zu schicken. Die Fälle sind meist banal und neben dem ganzen anderen Dreck nicht wichtig, aber die Fahrt hier durch die Straße und unser beider Adlerblick sind das Wichtige.“
Büscheling schwang, wie um das zu unterstreichen, seinen Arm aus dem Fenster und überließ gönnerhaft einer der gerade ausparkenden Gartenfirmen die Vorfahrt. Rudolph rückte ihren Hintern wieder auf dem Sitz zurecht. Sie fühlte sich ertappt.
„Mir ist der schlaffe Kaffee von Frau Schwartau und ihre Horrortensionsiendingsda auch reichlich egal“, sprach Büscheling weiter, während Firma “Baumkrone” vor ihm
vorsichtig aus der verschatteten Heckeneinfahrt heraus bugsierte und der Fahrer dabei mehr an seine 6 Punkte in Flensburg dachte, als an das defekte Rückfahrlicht und den
wahrscheinlich 10 Jahre alten Verbandskasten.
„Die Damen und Herren hier spülen anteilig die meisten Steuern ins Säcklein der Stadt.“, ergänzte Büscheling seinen Vortrag und zuckelte mit exakt 29,8 KmH dem
Rasenmähermann hinterher.
„Die wollen uns nur ab und an hier mal sehen, aber auch nur kurz, und dann regeln sie die meisten Sachen eh mit Versicherung und privaten Schutzdienst.”
Büscheling spürte wie Rudolphs Hand auf seinen Oberschenkel mit kreisenden Bewegungen ihre Wiedergutmachung demütig andeutete.
„Ich hab´s verstanden Chef.”, säuselte sie und war deutlich entspannter als eben noch.
„Und jetzt kümmern wir uns aber um die richtig bösen Buben?”, flötete sie ihn an und zog den Knüppel hart an die Innenseite seines Schenkels. Büscheling stöhnte leicht auf, bog gemächlich in eine der Hauptverkehrsadern, die Hamburg von West nach Ost komplett durchteilten, und schob dabei ein wenig unwillig ihre Hand von seinem Schenkel fort.
„Ja, Frau Kommissariatsanwärterin. Jetzt schauen sie mal schön, was wir da als nächstes auf der Liste haben und machen den Funk ein wenig lauter.”, er war geil und hart und dachte an alle möglichen verlassenen Villen hier im Viertel, in denen er jetzt gerne mal der jungen Kollegin den Arsch versohlt hätte. Aber er war zu sehr Profi und Genießer, um seinen Pflichten nicht nachzukommen.
„Aye Aye, Sir!”, grinste Rudolph und klappte den nächsten Einsatzzettel hoch.
Irgendwie war sie gerade sehr abgelenkt und etwas in ihrem Hinterkopf wollte noch eine spitze Bemerkung zu der alten Lady abgeben, aber bei der Berührung Büschelings adrigen Schwanzes hatte sie das wohl gerade vergessen.