„Was ist eine AG…“ „Freistaat Sachsen..!“ „Wo kriege ich eine FAZ?“ Vorne am Eingang hatten sie Blöcke und Stifte verteilt, also schrieb sich Jan eifrig Fragen auf. Er hatte einen Platz in der 2. Reihe bekommen, was eigentlich sonst nicht so sein Stil war. Aber auch hier gab es scheinbar ein Konzept für die Sitzordnung und er war brav den lustigen Zetteln am Rand gefolgt.
Designer + Kreative, Texter + Dichter, Berater + Schwätzer, Chefs + Idioten
Vorne stand „John“, der in echt Sebastian hieß, und grinste dämlich die hereintrottende Mannschaft an. Ein Flipchart stand inmitten der Bühne und einer der IT-Jungs stand gebückt neben einem riesigen Beamer und hantierte mit Kabeln und Steckern. Ein Blick in die Runde zeigte klar, dass Kreative offenbar selten Sakkos, dafür aber viel Schwarz trugen. Die kreativen Damen waren zumeist sehr streng und glatt frisiert, und still und leise. Mädels aus gutem Haus – hätte man früher auf dem Land gesagt, nicht ohne dabei eine gewisse Langeweile mit zu intonieren. Kreative Jungs? Jan schaute sich weiter um. Jungs waren in diesem Block gar nicht zu entdecken? Die ersten kamen in den Reihen hinter ihm und waren markiert durchschwarze Rollis, bunte Brillengestelle oder auch Hawaihemden. Was war er dann? Er schaute sich interessiert und unauffällig um. Aufzufallen schien er jedenfalls nicht.
„Moin, meine Schnuffi’s!“
So wurde man hier scheinbar ständig begrüßt. Eine leichte Rückkopplung sorgte dazu für Aufmerksamkeit.
„Wir sind nicht auf Malle – gehen wir pleite?“
Gejohle begleitete sofort diesen Zwischenruf aus einer der hinteren Reihen.
„Warum nur drei Mann in einem Boot?“
Noch so eine kreative Frage und großes Gelächter. John taperte wie ein Tiger vorn auf der Bühne hin und her und genoss sichtlich das Chaos.
„Wir wollen einen Jägermeisterbrunnen…!“
Das kam direkt aus der Reihe der Texter. Friedrich, den Jan auch in Verbindung mit seiner Suche nach der FAZ-Kampagne kennengelernt hatte, wollte hier wohl auch mal punkten. John grinste und votierte auch diesen Zwischenruf mit einem Thumb up.
„Meine lieben Hasis!“
Jetzt war scheinbar der Zeitpunkt gekommen an dem John seine Rede begann. Parallel erschien auf dem Beamer ein Startbild mit Logo und einem Hirschfell. Werberblöddoofarsch.
„Meine lieben Hasis! Ich liebe Euch alle!“
Getose und Gejohle und auch normaler Applaus.
„Ich liebe Euch alle und ich möchte Euch alle Wünsche erfüllen.“
Sah John auch aus wie eine schmächtige Mischung aus Schülersprecher und Junge Union- Wähler. Sprechen und die Spannung halten konnte er. Auf dem Beamer war das nächste Bild erschienen. Schwammige Bilder von Zeitungsseiten. Blonde Menschen in Sakkos.
“ …. Und wir sind dieses Jahr nicht auf Malle…“
er schaffte es sehr einfach diesen scheinbaren Mangel in einen Luxusumzudrehen—
“ –Weil wir wachsen wie ein Rudel …“
„Hasis!“
Jan hatte das gerufen und wurde sofort ein wenig rot.
„Genau!“
John zeigte mit dem Finger in Jans Richtung und fuhr weiter fort ohne sich durch das Gejohle auch nur im geringsten ablenken zu lassen. Jan, der von hinten ein anerkennendes kurzes Klopfen auf die Schulter bekommen hatte, kritzelte zwei Ohren auf seinen Block. Ständig als Hasi bezeichnet zu werden, von Chef und Arbeitgeber, war ein wenig ungewöhnlich, schien hier außer ihn aber niemanden zu stören.
„Und so möchte ich euch alle mit unserem neuen Organigramm… „
Jan kritzelte und verlor sich in der Schraffur der Hasen Ohren. Scheinbar hatte Johns launige Einleitung zu Malle-Reisen, Rügener Luxushotels und Jägermeister Brunnen als Warmup gereicht. Jetzt ging es hinüber in die Firmenstrukturen, Organisationsabläufe, Visionen…
Der Hase bekam große, fiese Zähne… einen dürren Hals… eine große dicke Nase…
„…können wir hier und jetzt stolz verkünden, dass wir den Standort…“
Es wurde anstrengend und Jan bekam Durst. War John vorhin noch alleine auf der Bühne gewesen, so erblickte Jan jetzt daneben noch drei weitere Sakkoträger, die sich neben dem Flipchart in Stellung gebracht hatten. Der Hase bekam dicke puschelige Pfoten. Jan kritzelte weiter auf dem Block herum.
„Auf dem Organigramm seht ihr die Leiter der Units, die neu geschaffen wurden…“
Jan hatte den Hasen fast fertig und fing jetzt an Vokabeln und Fragen zu notieren. Vielleicht hatten sie deshalb ja die stylischen Blöcke verteilt. Er jedenfalls verstand nur die Hälfte von dem was John da vorn erzählte, aber das konnte man sicher auch nachher noch irgendwo nachlesen. Wahrscheinlich ging ihn das hier auch gar nichts an. Sein Chef war Dirk, sie saßen fünf Straßen weiter und machte eh ganz andere coole Sachen als der Trupp hier. Wo war Dirk eigentlich? Es hieß er könne nicht mit den anderen im Bus fahren und würde nachkommen.
„Alder, wenn ich nicht gleich was zu trinken kriege… „
Das kam leise aus der Reihe hinter Jan. John konnte also auch langweilen und vielleicht übergab er deshalb jetzt auch gerade das Mikro an Thomas.
„Alder …“ wieder ein Stöhnen aus der gesichtslosen Mitte flankiert von versteckten Gekicher. Thomas glänzte. Seine Glatze spiegelte das Beamerbild in Teilen. Seine randlose Brille, seine fette Rolex, sein fein kariertes Hemd…Jan war durch das Stöhnen wieder aufmerksamer geworden und beobachtete jedes Detail an Thomas. Wo war er hier?
War „John“ noch leicht anarchistisch und unentschlossener FDP Wähler, so sah Thomas aus wie ein Erstgeborener von Helmut Kohl. Was redete der da? Was waren Profit-Center und Units? Wie kamen diese hässlichen Balkendiagramme auf den Beamer. Was zum Teufel war ein Roi? Jan, der eigentlich gern neben Sascha gesessen hätte und sich jetzt hilfesuchend nach diesem umschaute, sah zum ersten Mal, dass auch seine Sitznachbarin angefangen hatte auf ihrem Block zu kritzeln. Vorher hatte er sie nur kurz begrüßt und dem Namensschild Stefanie entnommen und Litho.
Er wusste in etwa was das war… aber eigentlich nicht wirklich. Lithografie… war das nicht uralt? Stefanie hatte scheinbar angefangen, einen düsteren Manga Comic zu zeichnen.
Unter ihrer Hand glaubte Jan gerade einen erhobenen Arm mit langem Messer …
… „Und natürlich müssen wir bei unseren Bestandskunden die Einbußen durch neue Sellings wieder rein holen…“ Thomas die Glatze sprach über Geld. Über Umsatz. Geld, Gewinn, Umsatz, Geld und Gewinn… und nicht wirklich über was anderes.
„… und wir müssen im new business deutlich zulegen…“
„Scheiß auf new business… „
Stefanie +Litho hatte offenbar Jans neugierigen Blick bemerkt und raunte das in seine Richtung. Jan grinste leicht und schaute zu Stefanie hinüber, die ihn allerdings gar nicht freundlich anschaute.
„… und so müssen wir uns auf die neue Welten vorbereiten und neue Sachen lernen…“
Thomas war kein guter Redner, dafür sprach er aber wohl auch direkter unangenehme Themen an.
„…wir geben euch alle Chancen zu lernen… Wer aber nicht lernen will…“
Jan versuchte es mit dem Hasen und hielt seinen Block Stefanie hin.
„…die neuen Märkte sind virtuell und spielen sich auf dem Computer ab…“
Thomas war wohl in Kalifornien in einem Silicon Valley gewesen und sprach von Sachen wie CD-Roms Bildkatalogen, AOL und Internet. Jan horchte auf, das waren ja seine Themen.
Der Schnitt ging mitten durch den Hals. Das Messer war riesig.
Eine Fontäne Blut schoss hinten aus dem Hasi. Litho/Stefanie hatte nur kurz Jans Block genommen, was dieser fälschlicher Weise als Sympathiebekundung zugelassen hatte, und starrte jetzt auf das Werk.
„Und so müssen wir allen Kollegen der klassischen Litho und Produktion nahelegen die angebotenen internen Umschulungsangebote wahrzunehmen…“
Jan starrte auf die schnell gescribbelten Blutspritzer.
“ – die Zukunft ist digital… die Zukunft sind Klicks..“
Litho/Stefanie hatte den Blick wieder starr nach vorn gerichtet und Jan seinen zerstückelten Hasi überlassen.
„Wir brauchen Klicks, wir machen Hits, wir ziehen in den Neuen Markt…“
Da vorne rollte eine Show und es gab auch Feedback im Saal, aber Jan war sich gerade nicht sicher wie er das Gejohle und Geraune verstehen sollte.
„…und dazu wird uns jetzt Dirk sicher viel mehr erzählen können…“
Dirk?