„Geh zu Annette. Die bucht die Reisen und Flüge. Such dir was schönes aus. Zwei Wochen.“
Dirk hatte sein Autoverkäuferlachen angeschmissen. Jan schaute ratlos.
„Worauf hast Du Lust?“ Dirk wollte wirklich nur Gutes. Hörte sich jedenfalls so an. Ein großer Junge, der mit Geld versuchte alles zu regeln. Jan überlegte. Alleine in Urlaub, das hatte er noch nie gemacht. Er war allein noch nicht mal in der Lage an einen Urlaub zu denken. Und wollte es auch irgendwie nicht. Dirk wollte das aber für ihn organisieren.
„Ja, gut ich überlege mal.“ Ein dämlicher Satz würde man denken, aber so war Jan nun mal irgendwie. Und er trug es den ganzen Tag mit sich. Während er stumpf an einer neuen Idee für Siemens Hausgeräte herum designte, überlegte er angestrengt was er für einen coolen tollen Urlaub auf Firmenkosten machen könnte.
Siemens Waschmaschinen.
Siemens Trockner.
Siemens Wasch-und Trocknerkombination.
Siemens Geschirr…
Jan surfte durch den Produktkatalog und sah ein Produktfoto langweiliger als das andere. Cool wäre es, wenn man aus der Trommel heraus, durch die Wäsche, mit Wasser… In seinem Kopf fing das Storyboard an den Kameraflug einzufangen. Die einzelnen Keyframes hatten richtig Potenzial. Es war vielleicht nötig mit ein paar versteckten Schnitten zu arbeiten… die Trommel innen, die Maschine außen… Jan dachte an Film und an George Lucas. Der würde so was hinbekommen. Der hätte das Equipment und auch die Power.
Jan dachte an seine Bewerbung – in einer durchgeknallten Nacht hatte er damit mal angefangen. Den Anflug auf den Todesstern, die Schluchtszene mit den X-Wings und den T-Fighter im Rücken… das gesamte klassische Teil 1 Stück hatte er bis auf das letzte Detail in
mühevoller Kleinarbeit in einer illegalen Version von 3D Studio Max nachgebaut. Und zwar in schwarz weiß Wireframe Look. Das war damals alles was er aus seiner Maschine herausholen konnte – aber genau dieser Look hatte eines der großen Star Wars Spiele ein paar Jahre davor unwiderstehlich gemacht. Das war aber gar kein richtiges 3D. Das war gut gemachtes Pseudo 3D in 2D. Bei Jan war alles echt. Echtes 3D. Seine Kamera flog um den X-Wing herum, während er
aus dem All in den Graben des Todessterns einschwenkte. Die Verfolger wurden wiederum von eigenen Kameras begleitet…
Draußen krachte es. Die Weichspülautomatik „Ein Patent von Siemens…“
Könnte er auch einen Urlaub in die USA nehmen? Zwei Wochen vor Industrial & Light & Magic campen und hoffen George Lucas zu sehen und ihm seinen Film in die Hand zu drücken…?
„Hi Mr. Lucas. I am Jan from Germany and I am doing animations. And I am your biggest fan and I would love towork for you…“
Konnte man so einen Urlaub bei Annette auch buchen? Jan merkte wie er gar nicht mehr bei der Sache war.
„Sag mal, muss es echt diese Waschmaschine sein?“
Die Frage ging in Richtung Sascha, der wieder an irgendwelchen E-Mails herumtippte. Waschmaschine mit X-Wing Flug durch die drehende Trommel … dann Eintauchen in eines der schnell drehende Löcher… Durchflug mit Rotation…
Erster T-Fighter bleibt in Socke hängen … Zweiter schlägt gegen Trommelwand, explodiert … Hinter der Trommelaufhängung geht es weiter…
„Ja, ich fürchte das ist in aktuellste Modell und da sind die verdammt stolz drauf.“ Sascha tippte weiter gab Jan aber die Bestätigung, für die absolut tödliche Langeweile.
„Die hat ja noch nicht mal ein Display.“ Jan schnaubte und erwischte sich dabei wie er aus dem Fenster starrte und auf Sex in der Wohnung gegenüber hoffte.
„Keine Laufzeit Anzeige?“ So eine Waschmaschine würde er niemals kaufen.
„Nein, aber diese spricht und sagt Dir wie lange es noch braucht!“ Sascha war auch nicht wirklich bei der Sache, dafür reichte es aber noch.
„Wie? Die Sagt mir, wie lange sie noch schleudert?.. „
„Ja, auf Knopfdruck…“
„Oh, mein Gott…“
Der Tag ging weiter. Das Telefon klingelte in diffusen Abständen. Jan erzeugte Ebene nach Ebene. Sascha tippte und tippte und griff ab und an zum Hörer. Dirk rannte ab und an aus seinem Büro heraus um sich in der Küche Kaffee zu holen. Dabei hatte er permanent ein Telefon am Ohr und quasselte. Draußen rumpelte das Stahlmonster und klingelte die Menschlein von der Straße. Der Abend schlich sich hinein nach Mitte. Sex gab es heute keinen. Er telefonierte mit ihr. Stadtgespräch Prenzelberg → Kreuzberg Heute konnten sie sich nicht treffen. Sie musste was mit ihm machen. Freunde besuchen. Gemeinsam Essen. Er war in der Wohnung. Das hörte Jan an der Art, wie sie sprach. Er liebte diesen Kitzel. Mehr brauchte er für heute Abend nicht. Er wollte einfach nur mit ihr reden. Ihre Stimme hören. Den ganzen Tag konnte er sie sehen und auch sprechen hören, ja sie hatten sogar gemeinsame Projekte. Aber ihre wahre Stimme, ihr zartes Hauchen das kam erst jetzt.
„Love me love me say that you love me…“Lovefool. Das war ihr Lied. Tag und Nacht hatte er es im Kopf. Sie hatte es im Auto gespielt, in dieser eisigen Nacht in Mitte, als sie ihm angeboten hatte den Berg nach oben zufahren und ihn in der Kastanie abzusetzen. Es war spät geworden. Die Präsentation für Siemens. Der letzte Schliff an der Waschmaschine. Die Folien für die Präsentation. Er saß neben ihr auf dem Sitz und die Stimme der Cardigans Sängerin hing wie Zuckerwatte über der Straße.
„Wie meintest Du das eigentlich damals?“Sie hatte den Motor abgestellt und nestelte an ihrem Schlüsselbund herum. Jan genoss jede Minute, jede Sekunde und hatte eh nicht sanderes vor als eine leere Wohnung zum Schlafen zu nutzen.
„Ja, was dachtest Du denn… “ Jan hatte sich aus dem Gurt geschält und an die Seitentür geschmiegt. Ihre Hand glitt über das Cockpit. Wie ein zartes Streicheln.
„Ich muss nach Hause.!“
Jan wusste das, konnte aber nichts sagen. Stattdessen drückte er zweimal auf Repeat. Das gelbe Stahlmonster flog an ihnen vorbei und vergaß das Klingeln. Jan klebte mit den Haaren an der Scheibe. Draußen Kälte.
„Love me love me…“
Die ersten Takte. Eine Gitarre. Ein Hauch in der Zeit. Er fasste ihre Hand. Sie war fein, warm und freundlich. Er umschloss sie sanft. Die Zeit konnte jetzt laufen wie sie wollte. Er war nicht mehr Teil dieser Welt. Jetzt hier mit ihr verknüpft zu sein, nach diesen Tagen. Nach diesen Wochen.
„Geh nicht…“
Hatte er es gesagt oder gedacht. Es war egal. Die Zeit dehnte sich unter der Berührung ins Unendliche. Und niemand musste etwas sagen.
„Hast Du schon eine Idee für deinen Urlaub?“
Sie schaute ihn fragend an.
„Nein… Keine Idee. Nichts…“
Jan sprach die bittere Wahrheit aus. Er hatte nicht den Hauch einer Idee, was er mit einem Urlaub anfangen sollte. Er hatte nicht eine Sekunde eine Idee gehabt oder irgendeinen Wunsch. Auch keine Hobbys oder dergleichen. Elke schnaufte, wie Sie es immer tat, wenn ihr etwas nicht passte oder sie ratlos war.
„Tauchen? Wäre das nicht was? Oder Surfen? Du kommst doch aus dem Norden?..“