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Kapitel 1 * Russland eine ehemalige Großmacht

„Guten – ärr Abend – ich heiße Dimitri Domandszri Oblawgev
und bin ihres Nachtwache heute fürs Nacht.
Sie können mit allen ihres Problemens zu mir nach vorne
kommennn. Gutes Nacht.“
Die Tür hatte sich gerade geschlossen, doch das Gegacker
war schon im vollen Gange.
Römer lief rot im Gesicht an und sagte gar nichts – während
Schumann sich in die Kissen rollte und Tränen gackerte.
Ein dürrer und nicht all zu hoher, kleiner Mann war eben
aus der Tür verschwunden, doch das Schauspiel das er
geboten hatte klang nach.
Römer japste nach Luft und kringelte sich in die Laken
seines Bettes, dabei streckte er seinen Kinderarsch in die
Luft und wirkte wie etwas zwischen Robbe und gestürztem
Pferd.
Schumann erstarrte in einer Vorstufe des Wahnsinns.
Er hatte in den letzten drei Monaten einige Variationen von
Absonderlichkeiten hier erlebt.
Radebrechende Russen konnten ihn eigentlich nicht
erschüttern – aber dieser eben verschob die Messlatte
gewaltig.
Nein, lieber würde er seinen Versicherungsschutz riskieren,
den Autoschlüssel aus dem Schrank holen, um anschließend
mitten in der Nacht über die Autobahn zu rasen und in
seiner Heimatstadt einen katholischen Pfarrer aus dem Bett
klingeln.
Diesen würde er dann in den Beichtstuhl der St.
Marienkirche schleppen.
Alles besser als diesem radebrechenden zwanzigjährigen
Russen inmitten der Nacht seine Sünden und “Problemens”
auszubreiten.
„Was war das denn?!“, unterbrach Römer seinen heimatlichen
Gedankenausflug und sein atemloses Gegacker.
„Was war das denn bitte schön eben?! Wollen die uns
verarschen?“, Römers Stimme überschlug sich zu einem
schwulen Stakkato und es würde noch einiges folgen.
„Ich geh jetzt ins Foyer von dieser Scheisskiste und
klingel den Chef raus…”, heiße Luft konnte Römer gut, wild
nestelte er an seiner Jogginghose und versuchte
gleichzeitig in seine Hausschuhe zu schlüpfen.
Schumann konnte in einer Pause ein wenig Luft holen und
atmen.
War alles schon nur noch halb so schlimm.
Hatte schon schlimmere Sachen erlebt.
„Ach, lass mal – ist doch lustig…“, warf er ein doch da
war Römer schon durchgedreht und hatte laut zeternd das
Doppelzimmer, das eigentlich ein Dreibettzimmer war,
verlassen.
Schumann konnte also in Ruhe weiter in seiner Phantasie
turnen und merkte sogleich, wie der aus dem Schlaf
gerissene Pfarrer ihn geil anschaute und sich ohne
Widerstand die Hände auf den Rücken fesseln ließ.
Schumann stöhnte und konnte es nicht glauben, aber wollte
es zu Ende bringen und stieß den Pfaffen weiter den Gang
entlang durch eine dämmerige Bude, die offenbar seine
Dienstwohnung war.
Einen langen Gang entlang und immer tiefer ins leicht
muffige Dunkel der Sakristei – oder wie das hieß.
Durch die Tür und dann rechts, hinein in den neogotischen
Bau, der Schumann in seiner Kindheit so verhasst war,
hinein in eine kühle offene Aula mit einem dieser
neumodischen Altare und schlichten Holzbänken.
„Darf ich fragen – welches meiner Schäflein begehrt so spät
des Nachts Gottes Zuspruch!?“
Schumann ekelte sich – das war zuviel – und außerdem nicht
echt.
So nahm er den Iinksseitig auf einem Podest stehenden
Kerzenleuchter, der eben in Griffweite aufgetaucht war,
und zog ihn ohne weitere Verzögerung mit einer eleganten
Bewegung über den Schädel des Pfaffen.
Der Ton fehlte, aber das Feedback kam schnell und optisch
brillant.
Eine staubige Fontäne sprühte in die kühle Luft der Kirche.
Blut sprudelte aus einer klaffenden Wunde über des Pfaffen
rechten Auges und stumm, mit offenem Mund, fiel dieser wie
ein Sack in sich zusammen.
„Keines Deiner Schäflein – das hättest Du wohl gerne
gehabt, Du Schwanztrine!“
Schumann ließ den Leuchter fallen, stopfte sich eine
Handvoll Hostien aus einer Schale in die Tasche seines
Parkas und ging.
Die Tür zu und raus aus den Klamotten.
Der Duschvorhang zur Seite und schnell den Druck von nahezu
kochendem Wasser in sein Gesicht.
Wasserdruck, der sonst in Hamburg fehlte, war hier am
Stadtrand in Fülle vorhanden und die Temperatur reichte
vom gefühlten minus 10 Grad bis knapp an die Schwelle, bei
der sich Hähnchenhaut vom Hähnchen löste und mit kleinen Fettblasen im Ausguss verschwand. Rauschen. Druck. Ausschalten. Schumann kochte sich frei von Schuld und Sünde, oder was auch immer.