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Schlagwort: Rügen

  • Kapitel 43 * Tyler Durden

    Teigiges Gesicht. Groß. Schwitzen. Helmut trug ein passendes kariertes Hemd zu diesem Namen und knetete seine Hände auf den Schenkeln einer beigefarbenen Hose.
    Stretch. Autofahrerhose. Viel unterwegs. Düsseldorf. Außendienstler. Vertrieb Futtermittel irgendwas.
    Seine Augen flackerten wild in der Runde daher. Sylvia neben ihm, hatte die Schultern eingezogen. Knöchellanges Batik irgendwas und Sandalen. Neben Helmut sah sie aus wie eine der zwölf Waldelfen, die sich aus dem bergischen Land hier in die Stadt verirrt hatten. Vielleicht Pilze? Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe.
    „Weshalb sollte mich das interessieren?“
    Friedjof war der Hibbelige links von Mushroom Sylvia und so dünn, dass man neben seinen Armen die Stuhllehne sah.
    „Wieso muss ich mir das anhören!“
    Friedjof keifte herum, was ihm viele böse Blicke im Kreis brachte aber auch zustimmendes Stöhnen.
    „Friedjof, bitte. Du kennst die Regeln.“
    Mehr musste Stefan gar nicht sagen, der sich mit übereinander geschlagenen Beinen und Strickjacke optisch nicht weiter aus der Runde abhob.
    „Okay Chefe…“
    „Aber…“
    Friedjof hatte mit ein wenig Verzögerung die Autorität in Stefans Blick empfangen und zog sich wieder in den Schatten der Stuhllehne zurück.
    „Wir alle hier teilen und wir alle hier geben und nehmen.“
    Stefan, Diplom-Psychologe mittleren Alters, mit Schnauzbart und offenen Hemd unter dem ab und an ein Goldkettchen aufblitzte, markierte mit diesem kurzen Satz die Regeln des Gesprächskreises und zeichnete mit offenen Händen einen Winkel zwischen Friedjof und Helmut. Dieser war erstarrt und schwitzte vor sich hin, nahm die Geste aber als Signal, um mit seiner weinerlich monotonen Stimme sein Blitzlicht fortzuführen.
    „… dann mache ich mir in der Mikrowelle ein FROSTA Gericht warm. Es ist wichtig dabei nicht mehr als 8 Minuten bei 800 Watt einzustellen…“
    Helmut sollte sich teilen und das tat er mit aller Inbrunst. Minutenlang. Jan sah sich um.

    „Wir kaufen uns Dinge mit Geld, das wir nicht besitzen, um Menschen zu
    beeindrucken, die wir nicht mögen…“

    Preisschilder erschienen an den Möbeln, die Jan im Hintergrund betrachtete.
    Eine Schrankwand- nicht IKEA -2495.- D-Mark
    eine Sitzgruppe-Leder mit Glastisch 3000,- D-Mark
    ein flauschiger Teppich, grau blau, edel… ca 2000,- D-Mark
    Tyler Durden war verbrannt, ausgehölt und abgestumpft. Was war Jan? Er saß im 4. Stock eines 70er Jahre Baus, im inneren Kreis der Kölner Innenstadt. Blick auf den Dom. Ruhige Lage. Domblick war ar gar nicht so selten in der flachgebombten Stadt, die sich gekachelt wieder aus dem Staub erhoben hatte. Sein Kopf summte, war vielleicht auch leer. Er hatte keine Ahnung. Tyler Durden schaute auf die Dinge und sah ihre Werte, Jan starrte in den Raum und sah durch die Menschen und Worte hindurch.
    „Himbeergeschmack ist meine Lieblingssorte…“
    Helmut sprach sonor von seinen Nachtischvorlieben. Fridtjof schnaufte. Eso-Sabine grinste dämlich. Die anderen drei Frauen und Männer waren im Sichtfeld verschwommene Schemen. Wenn diese sich auch noch öffnen würden, hätte Jan überhaupt nichts dagegen. Besser als alleine ins Alleinsein starren. Zuhören und nicht dasein. Wären heute nicht Gruppe, wäre er jetzt Laufen. Oder er säße im Kino. Vielleicht auch kiffen oder ficken.
    „Danke. Helmut.“
    Stefan hatte das gesagt und wohl gerade im rechten Moment Helmuts Achterbahnerzählung vom Stumpfsinn des Lebens als geschiedener fettleibigen Mann im Außendienst für einen Futtermittelhersteller unterbrochen.
    Friedjof hatte sich auf dem Stuhl in embryonaler Haltung zusammengerollt und den letzten seiner Fingernägel abgebissen. Sylvia und die anderen klatschten brav in die Hände und bestärkten Helmut in seiner schonungslosen Offenheit des sich Öffnens und Monologisierens über Mahlzeiten.
    „Was können wir daraus lernen?“
    Jan schreckte auf. Friedjof schnaufte. Es war üblich Helmut jetzt zu spiegeln. Jeder war angehalten das Erzählte durch einen kurzen Kommentar positiv zu verstärken.
    Jan hatte sich bis jetzt in allen Sitzungen mit Allgemeinplätzen daran beteiligt.
    „Das kenne ich… „
    „Das macht nichts. ist mir auch schon passiert…“
    „Das kenne ich. _“
    Sowas zu sagen kostete nichts und tat nicht weh. Das war Teil der Gruppe und ihrer Regeln und damit bezahlte man quasi den Eintritt.
    „Du bist widerlich und unglaublich unwürdig!“
    Es schoß aus Jan heraus. Er hatte es so gedacht und dann auch laut gesagt. Klirren. Eisige Kälte… Ein Riss durch die stickige Luft. Alles konnte man in die Sekunden hinein interpretieren, die jetzt in der Vergangenheit verschwanden.
    „Ja.“
    Stefan warf einen Blick in Jans Richtung und deutete ihm zu schweigen, aber Helmut war schon gebrochen und brach schluchzend in Tränen aus. Friedjof sprang in dieser Sekunde von seinem Stuhl auf und fing an, wie ein Irrer zu lachen.
    „Fett!“
    Nur ein kurzes Wort ausgespuckt dazwischen. Ja, die Hölle konnte so schnell entfacht werden. Es war so einfach.
    „Also, das war jetzt ja echt daneben…“
    Sylvia entzürnte sich, weitere Stimmen erhoben sich. Jan hörte nur das Rauschen, er hatte das Feuer entfacht. Helmut brach weinerlich in Tränen zusammen, während Stefan seine Zettel auf dem Schoß sortierte und nach den richtigen Stilmittel für den
    Eklat suchte. Dabei fasste er sich erst an die Nase und spielte dann an seinem Goldkettchen.
    „Ich gehe mal eine Rauchpause machen. Kommst du mit?“
    Friedjof war von seinem Derwisch-Trip offenbar wieder runter und stand
    neben Jan, der inmitten des Orkans auf seinem Korbstuhl verharrte.
    „Jo.“
    Jan hatte keine Lust auf den Domblick, aber dafür hatte man die Terrasse
    schließlich mal gebaut. Gemeinsam stand er mit Fritjof vor dem Geländer und schaute auf das verschotterte, hässliche Dächermeer, das sich vor dem Doppelspitzen der
    Kölner Kathedrale aufspannte.
    „Wie bist du denn drauf?“
    Friedjöf zog eine P+S aus einer Packung und bot diese Jan an.
    „Wie soll ich drauf sein?“
    „Na, das eben war ja schon ein Massaker. Helmut ist sicherlich gleich zerflossen.“
    „Ich glaube, das wird ihn heilen, glaube mir.“
    Jan zog an dem einen Stengel und brachte die Glut zum Knistern. Er hielt den Kopf in den Nacken und zielte mit der Zigarette genau zwischen die beiden schwarzen, verkohlten Domspitzen. 600 Jahre hatten sie an dem Rotz gebaut und dabei unendlich viel Geld und Leben verschwendet, nur damit das Ding heute die Stadt von weiten überragte und Touristen aus aller Welt anzog. Friedjöf schaute in die gleiche Richtung wie Jan und kicherte.
    „Wie heilen? „Friedjof knuffte Jan in die Seite.
    „Meinst du der nimmt jetzt ab? Und redet keinen Scheiß mehr!“
    Jan dachte an Nonnen, die sich vor dem Dom neben Asiatinnen in Schulmädchenuniformen fotografieren ließen und an englische Bomberpiloten, die über Köln die Luken ihre Bombenschächte öffneten. Feuer, Flammen,Rauch. Massaker.
    Der schwarze Dom in seinem obszönen Schwarz warf einen langen dunklen Schatten auf den nachtdunklen Rhein. Glutfunken flirrten durch das Bild.
    „Wie? Nein, ich hatte einfach nur Bock auf ein bischen Stress.“
    Jan blies den Rauch in den Abendhimmel und lächelte Friedjof an.
    „Pogo in Togo!“
    „Africola in Angola?“
    Friedjof zitierte die 80er und summte die Takte von United Balls „Pogo in Togo“
    „Ich glaube hier wird niemand mehr gesund.“
    „Lass uns wieder reingehen – ich werde mich entschuldigen.“
    Jan drückte die Zigarette in Ascher aus und drehte sich in Richtung des Seminarraums.
    Dort sah man das Gewusel der anderen Gruppenmitglieder schemenhaft durch die Scheiben. Ob das eine gute Idee war, wollte Jan gar nicht erst diskutieren. Er ließ Friedjof nur die Wahl ihm zu folgen und schritt durch die Tür. Ohne die eiseskalte Stille zu beachten, die das hektische Gemurmel unterbrach, ging er an Stefan vorbei auf Helmut zu. Dieser hatte das Heulen wieder eingestellt und saß umgeben von tröstenden Damen auf seinem Korbstuhl. Verängstigt blickte er in Jans Richtung.
    „Es tut mir aufrichtig leid, was ich eben gesagt und getan habe.“
    Jans Worte kamen klar und deutlich.
    „Ich wollte und musste ganz dringend einmal Arschloch sein, weil ich in
    meinem ganzen Leben das noch niemals war.“
    Sylvia und eine der anderen Schranzen, schnaubten und richteten sich
    bedrohlich in Jans Richtung auf.
    „Es tut mir aufrichtig leid, ich weiß, das war nicht der richtige Zeitpunkt.
    und ich werde dafür sorgen , dass es nicht noch einmal passiert.“
    Dabei trat Jan, ohne die Umstehenden zu beachten auf Helmut zu und
    umarmte dessen massive Schultern.

  • Kapitel 3 * Acht Fenster mit Ausblick

    „Du hast wirklich viele Fenster!“, staunte Jan, der noch nie zuvor eine so große Wohnung gesehen hatte, in der jemand allein wohnte. Sascha hatte es sich auf einem flachen Sessel mit Holzlehnen gemütlich gemacht und wirkte ein wenig wie ein Schriftsteller. Der schrabbelige Holzfußboden, die mit Büchern vollgestellten Regale und die wenigen, aber alten Möbel verliehen der Wohnung einen charmanten Charakter, und dazu kamen noch die vielen Fenster.
    „Findest du?“, erwiderte Sascha und schenkte beiden aus einer Rotweinflasche in zwei Gläser ein. Er prostete Jan zu. Sie kannten sich erst seit ein paar Wochen, und Jans Besuch in Saschas Wohnung im Berliner Wedding beruhte auf gegenseitiger Sympathie und der gemeinsamen Arbeitserfahrung. Jan nahm einen viel zu großen Schluck aus seinem Glas und realisierte erst jetzt die genaue Geometrie und die Details von Saschas geräumiger Wohnung. Bad, Wohnzimmer und Schlafzimmer erstreckten sich entlang einer Seite der Wohnung und hatten insgesamt acht Fenster. Doch trotz seiner anfänglichen Begeisterung über die großzügige Fläche der Wohnung fielen Jan auch ihre Mängel auf.
    „Ist das die Nordseite?“, fragte er, um höflich zu sein, und verschwieg dabei ein weiteres offensichtliches Problem. Eine Wand – groß, dreckig und schlecht verputzt – füllte das gesamte Panorama aus. Grau, verrußt, dreckig, Keine Fenster, nichts!
    „Ja, das ist die Nordseite. Im Winter ist es sogar noch grauer!“, erklärte Sascha und machte es Jan damit leicht.
    Mit dem Glas in der Hand stand Jan auf und schaute in die Finsternis hinab. Keine Fenster nach oben oder unten, nur eine hässliche Wand, die sich unten in einen düsteren, schlammigen Hof auflöste. Jan meinte, schemenhaft die Umrisse von Mülltonnen zu erkennen. Sprachlos starrte Jan in die Tiefe und dann zur gegenüberliegenden Wand.
    „Nun ja, immerhin kann hier niemand hereinschauen. Und du wirst nicht wie ich jeden Morgen von einer Baustelle geweckt…“, Jan versuchte nett zu sein und bemerkte dabei, wie unhöflich er sich als Gast verhielt.
    Er hatte eine gute Erziehung genossen und in seiner Kindheit reichlich Ausblick und Himmel gehabt. Solch eine Mauer hatte er noch nie gesehen.
    „Ja, es hat auch seine Vorteile…“, meinte Sascha diplomatisch und verschwand in der kleinen Küche auf der anderen Seite der Wohnung. Jan drehte sich um und der Holzfußboden knarrte. Goethe, Kafka, Tucholsky… Was hatte Sascha nochmal studiert? Jan erinnerte sich vage daran, dass Sascha davon gesprochen hatte, aber er
    hatte wie immer nur die Hälfte behalten. Und er konnte die Literatur nicht so recht mit Saschas ständigen Telefonaten in Verbindung bringen. Ständig war Sascha am Telefonieren, wenn er nicht gerade Texte in die Tastatur hackte. Oft tat er auch beides gleichzeitig. Bei der Vorstellungsrunde hatten sie von Beratung gesprochen. Sascha war Berater, so hatte Jan es abgespeichert. Sascha kam aus der Küche zurück, ein Tablett mit seltsamen Keksen in der Hand.
    „Hier, das sind welche vom Türken an der Ecke…“, sagte Sascha und zeigte auf das Tablett. Er war ein perfekter Gastgeber.
    „Hast du sie alle gelesen?“, fragte Jan und griff nach einem der grün glitzernden Kekse. Er schaute in das nächste Regal, das voller alter Bücher stand. Obwohl er viel gelesen hatte, gab es in Bezug auf die Klassiker Lücken in seinem Wissen. Diese Sammlung glich fast einer Bibliothek, und Jan fühlte sich ein wenig unsicher.
    „Ja, eigentlich schon“, antwortete Sascha und setzte sich wieder auf seinen Platz am Fenster. Er hob sein Glas zum Toast.
    „Lass dich davon nicht einschüchtern. Die Hälfte davon ist alter Käse. Prost!“
    „Zum Wohl…“
    Sascha hatte einen guten Schluck genommen und Jan noch einmal nachgeschenkt. Jan gönnte sich ein zweites grünes Stückchen und trank von dem leckeren Rotwein. Die graue Wand beobachtete sie, während sie aufeinander anstießen, und langsam wurde es in der ohnehin schon dunklen Wohnung immer dunkler.

  • Kapitel 21 * 556-Kbyte und das N

    Alles lief. Auch die Probleme. Die Ruhe vor dem Sturm und jetzt war Jan so richtig am Arsch. Tatsächlich hatte er einen Adapter bekommen. Tatsächlich liefen beide Monitore und tatsächlich konnte man auch den Mauszeiger bewegen. Er musste dafür auch kein Vaterunser oder einen Rosenkranz beten. Elke und er waren einfach nett und höflich auf den unscheinbaren Stand zugegangen und Jan hatte Elke das Reden überlassen.

    24 Stunden 7 Tage die Woche – Gott war also immer online

    Jan hatte sich sehr gut benommen, wie er fand, und so hatten sie auch seltsamer Weise ganz schnell aus einer Kiste mit ganz vielen Teilen einen Mac to VGA gekramt bekommen. Der junge Mann war sehr nett.
    Er trug einen Pullover unter dem ein Hemd hervor lugte. Jan hatte bei den Weihrauchbrüdern mehr so klerikales Outfit erwartet, aber scheinbar waren die hier alle in Zivil oder Pullover und Hemd so eine Art Uniform.
    „Das ist wirklich nett.“ Elke flötete freudig als sie den Adapter in der Hand hielt.
    „Was bekommen Sie dafür? Wir bezahlen das auch.“
    Der junge Mann wehrte das mit einer Handbewegung ab und Jan wartete auf ein „Nehmt es in Gottes Namen und geht in Frieden.“ wurde aber überrascht.
    „Nein, alles gut. Wir haben reichlich von den Dingern. Am Ende der Messe einfach zurückbringen.“
    Messe? Jan kicherte kurz doch Elke zerdrückte ihm schnell die Hand. Reichlich von den Dingern? Das klang ein wenig nach Paradies…
    Nun Gott, in Gottes Namen, dachte Jan gerade und bereute fast, dass der Adapter den Bildschirm zum Laufen gebracht hatte.
    „Das kann nicht sein!“
    „Oh, mein Gott!“
    „Ich kriege Herpes!“
    Jan fluchte vor sich hin und suchte nach dem nächsten Superlativ für Scheiße. Elke, die nach dem göttlichen Adaptersegen erstmal ein wenig Pause machte und von einem Caterer zwei Cola und Baguettes besorgt hatte, schaute auf.
    „Was ist los?“
    Jan schnaubte und rieb sich Kinn und Nase. Katastrophe. Wie bekloppt konnte man eigentlich sein.
    „Was ist?“ Elke rückte näher an Jan heran, der vor dem Monitor stand und fluchend zur Salzsäule erstarrt schien.
    „Da ist ein n“. Jan konnte es immer noch nicht fassen, „da ist ein „N…“ , stotterte er weiter.
    Mit dem Mauszeiger hatte sich der weißen Schrift auf blauen Grund genähert und zeigte jetzt auch mit der linken Hand in diese Richtung.
    „Nicht wirklich!“ Elke nutzte diese Phrase immer in Momenten wie diesen…
    „Doch…“ Jan schwankte.
    „Doch da ist ein N…“
    „Hallo Frau Rittmer! Schön Sie zu sehen!“
    Die Hölle fror zu. In Jans Nacken bildeteten sich Schweißperlen, die im selben Augenblick gefroren. Fegefeuer und Prof. Sturz , die eigentlich- … und … hießen standen in feinstem Zwirn vor dem Eichefurnier-Ensemble. Sie waren wie aus dem Nichts aufgetaucht. Roch es ein wenig nach Schwefel? Jan war sich nicht sicher. Er hatte sich reflexartig vor den vorderen Monitor gestellt und verdeckte diesen komplett. Nett grinste er in Richtung der beiden Frackträger, denen Elke bereits mutig entgegen geschritten war. Geschickt hatte sie gerade noch ein paar Krümmel Croissant von ihrem Bauch gewischt.
    „Hallo Herr Dr. Stör und Herr Fegemeier, das ist ja eine Überraschung. Elke konnte sich Namen sehr gut merken.
    Ihre Stimme war honigweich.
    „Sie sind aber früh dran.“
    Elke schaute dabei kurz auf ihre Uhr. Ihr ganzes Lachen schaffte es ehrliche Freundlichkeit auszustrahlen.
    „Nun Fräulein Rittmer, die Pünktlichkeit ziemt sich sehr…“
    „Wir sind eigentlich auf die Minute pünktlich.“
    „Wo ist denn Herr Buddensiek.?“
    Elke war souveräner denn je: „Herr Buddensiek lässt sich kurz entschuldigen. Er musste dringend mit Herrn Röhrig kurz etwas erledigen. Er wird bald wieder hier sein….“
    Jan schaffte es seine Konzentration von dem Gespräch wieder auf den Monitor zu lenken. Elke machte das souverän und müsste noch nicht einmal lügen. Die beiden Knacker sahen aus, als wenn sie direkt aus
    einem kolorierten Weltkriegsfilm in die Anzüge gesteckt worden wären. Obersturmbandführer und Gauleiter nur in anderer Mission unterwegs.
    „Wir lesen unsere Nachrichten ja auch nicht im Radio fürjeden auf dem Klo vor.“
    Jan schnaubte in sich hinein. Dafür hatte er studiert… dafür war er nach Berlin gegangen… solche Fatzkes bezahlten sein Gehalt? Und solche Fatzkes flirteten jetzt mit Fräulein Elke dort in den Lounge Sesseln vor Eichefurnier? Umso schlimmer war das n.
    Umso mehr ärgerte sich Jan gerade über das beschissene kleine, verkackte n in Frakturschrift. Er hasste es Fehler zu machen. Und nichts war schlimmer als Fehler bei solch einem Feind zu machen. Feind = Kunde Kunde = Feind
    Oder wie Dirk immer so schön sagte: „Kunde droht mit Auftrag!“
    Solche Sprüche konnte der. Da war der richtig gut drin. Aber gerade war er leider auch nicht vor Ort.
    Jan schnaufte und rieb sich das Kinn. Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte ein n zuviel. Inmitten des Logos, inmitten des Gifs prangte ein kleiner deutscher Buchstabe und war zuviel: Allgemeinen.
    Ja, das konnte man auch als Linguist leicht überlesen und dann ins Grübeln kommen, aber leider war hier nichts zu grübeln. Denn nur der kurze Blick über oder neben den Monitor, hätte auf mehreren ausliegenden Druckwerken den Beweis sofort erbracht. Es hieß: Frankfurter Allgemeine Zeitung.
    Ohne N!
    „Afferto – Steinmetz…“
    „Michael! Du bist wach!“
    „Ich liebe Dich!“
    Jan hatte nicht auf die Uhr geschaut sondern einfach die Berliner Durchwahl gewählt. Das Telefon hatte er sich hinter dem Tresen hervorgezogen und stand nun am Ende der gestreckten Schnur vor dem Monitor. Die Messehalle hinter ihm schien immer lauter zu werden. Jan fühlte sich wie im Bauch eines Raumschiffes oder Flugzeugträgers. Vor ihm das n und jetzt eine Mission.
    „Michael – gut Du bist wach!“
    „Ehm..“ Michael wollte das nicht gänzlich bestätigen und klang so als wenn er gerade Müsli vor einem Kühlschrank aß.
    „Du musst sofort online gehen!“
    Jan versuchte so leise wie möglich aber so bestimmt wie nötig in den Hörer zu sprechen.
    „Äh Moment… ich muss erstmal meinen Rechner und dann den Server starten…“, Michael hatte die Ruhe weg, sprichwörtlich.
    „Seid ihr heute nicht auf der Messe?“
    Im Hintergrund hörte man den Startsound des Powermacs. Jan schaute kurz zu den Frackträgern und Elke.
    Ihre kurz in seine Richtung hochgezogene Augenbraue nahm Jan wahr hatte aber keine Idee, wie er darauf reagieren sollte. Jan kroch in die Telefonleitung und sah quasi wie sich langsam auf Michaels Rechner die Sanduhr drehte. Er glaubte sogar das Rödeln der Festplatte zu hören.
    „Wir waren gestern in dem neuen Tarrantino…“Michael wollte nur nett sein.
    „Ja, Michael! Wir sind hier auf der Messe. Und hier ist gerade die Kacke am Dampfen!“
    Jan lächelte dabei verkrampft in den Monitor und sah sein Spiegelbild matt über der Webseite der FAZ.
    „Sorry, mir geht hier der Arsch auf Grundeis.“ Anschnautzen wollte er den lieben Michael eigentlich gar nicht.
    „Du musst mir jetzt ganz genau zuhören und helfen.“
    „Ist das Modem schon an? Bist Du schon online?“
    Es war ein wenig still in der Leitung geworden. Jan schwitzte.
    „Ich verbinde uns gerade.“ Michael war immer noch in der Leitung. Gott sei Dank.
    Jan konnte im Hintergrund das Einwählgeräusch des Modems hören.
    „Was ist denn da los bei Euch?“ Michael war langsam wach und kam in Bewegung.
    „Du gehst jetzt bitte auf die FAZ -Seite im Netscape und machst bitte gleichzeitig den FTP an.“
    Jan wusste nicht, wie viel Passwörter Michael nun gerade eingeben musste aber auf jeden Fall war er für diese Aufgabe der Richtige. Danach müsste man weiter sehen.
    „Oh Mann, das kam jetzt ein bisschen dauern.“ Michaels Worte hallten durch den Telekom-Schlauch. Hier läuft gerade ein Backup und..“
    „Nein, Michael! Das darf jetzt nicht dauern.“
    Jans Stimme war vielleicht ein wenig zu laut.
    „Michael. Brich das Scheiß Backup ab. Brich alles ab. Wir brauchen die ganze Leitung. Alles!“
    Jan wurde erst jetzt bewusst, dass sein größter Feind die Geschwindigkeit war. Das kleine scheiß n war direkt vor seiner Nase auf dem Bildschirm. Und quasi Lichtjahre entfernt. Links oben in der Ecke des Bildschirms.
    Ein Gif 89 a.
    Logo-Faz. gif
    Ein Pixelschiss oben in der Ecke einer Website, gebaut aus HTML im Text-Editor. Ca. 600 Zeilen Text einer von Hippies entwickelten Sprache, die man an einem Wochenende lernen konnte. Die einen aber auch den letzten Nerv kosten konnte.
    „Okay. Ich versuche alles.“
    Michaels Stimme war jetzt wacher. Jan überlegte fieberhaft.
    „Ist Jörg schon da?“
    Michael war gut für den Server Kram, aber mit Photoshop konnte Jan ihn nicht so im Verbindung bringen.
    „Jörg? Der kommt heute gar nicht…“
    „Oh Mist.“ Jan war panisch.
    „Okay, der Reihe nach. Dann musst Du das jetzt machen. Bist du schon online?“
    Michael stöhnte ein langgezogenes „Ja,.._ gleich… Ich bin fast dran.“
    „Also , schau ganz genau hin.“
    Jan versuchte sich mit Michael zu synchronisieren.
    „Oben links. Siehst Du das Logo?
    Michael stöhnte wieder.
    „Moment. Die Seite lädt noch…“
    Jan hatte die Seite ja hier vor sich. Der Rechner hier auf dem Messestand war am Laufen. Und online.
    „Hast Du es jetzt?“
    „Ja, ich sehe jetzt die Seite und was soll damit sein?“
    Jan stöhnte.
    „Guck ganz genau hin…“
    Die Sekunden rauschten durch den Hörer und die Kilobyte krochen durch das WWW.
    „Sieht doch alles gut aus…“
    „Nein, Michael! Sieht nicht gut aus. Michael. Schau mal ganz genau hin. Da ist ein n zuviel!“ Jan zischte es in den Hörer. Stille im Hörer.
    „Wo?“ Michael sah es nicht. Niemand hatte es gesehen. Jan wollte schreien, aber dann hätte es die Feinde sofort gesehen.
    „Michael, bitte schau jetzt genau hin und Sag mir, dass Du auch schon den FTP auf hast.“
    Michael grunzte etwas in den Hörer.
    „Du musst jetzt bei uns in den Server gehen… oder nein halt… Du lädst jetzt am besten vom Server genau nur dieses eine Bild runter…
    /Bilder/ Logo-Faz. gif
    Das musst Du runterladen. Und dann musst Du Photoshop aufmachen.“
    Jan sprach präzise und ruhig auf Michael ein. Wäre er jetzt im Büro hätte das Ganze nur zwei Minuten gedauert und Jan hätte dabei noch einen Cappucino getrunken.
    „Photoshop?“ Michaels Stimme unterbrach ihn.
    „Ich habe hier keinen Photoshop auf dem Rechner.“
    Oh Gott. Jan sah in den Himmel der Messehalle.
    „Scheiße.“
    Jan wollte schreien. Einmal laut schreiend durch die Halle rennen, ein paar Leute anrempeln, in einen Moshpit springen… oder etwas zertrümmern. Fuck. Fuck. Fuck.
    „Ich kann aber unter Linux …“
    „Scheiße. Egal womit – Du musst nur dieses n da raus kratzen!“
    Jan hätte nicht gemerkt, wenn es angefangen hatte zuschneien oder zu regnen. Er fühlte sich wie in Tron.
    Er rannte über eine unendliche blaue Fläche und näherte sich einem riesig hohen weißen n in Frakturschrift.
    Hinter ihm Sturz und Fegefeuer in ihren Jägerpanzern, die permanent auf ihn schossen. Jan zog seinen Diskus…
    „Hey ho! Alles klar im Staate Dänemark!“
    Jan hörte die Stimme, sie kam von weit weg auf der Ebene. War das das Master Control Program? MCP
    „Na Jan, was machst Du denn hier vor der Glotze?“
    Es war Tron! Dirk stand plötzlich in der Szene und das Getöse der Halle zog sich in den Hintergrund zurück.

  • Kapitel 20 * Gott ist immer online

    Das Logo prangte groß über dem Stand. Ein dickes Kreuz mit abgerundeten Innenkanten. Schwarz + grau. Darunter riesige Drucke von jungen Männern in Grünzeug, mit schneidigen Mützen und Gebimsel auf den Schultern ihrer Uniformen, Kanonenrohre vom Leopard, in der Luft ein Tornado. Jan konnte nicht umhin sich ein wenig zu gruseln. Werbung? Für die Bundeswehr? Ein ganzer Messestand? Dirk huschte hektisch durch das Bild. Irgendwelche Handwerker schraubten an einem eiche-furnier-farbenen-Tresen herum. Davor in blau und weiß das Logo der großen Deutschen Zeitung.
    „Wir brauchen diesen Scheiß-Adapter!“
    Dirk hatte Schweiß auf der Stirn stehen. Autoverkäuferpanik. Probefahrt. Endlich hast Du den Kunden im Auto und dann fehlt der Schlüssel.
    „Das wird heute schwierig!“
    Einer der Techniker, den Dirk quasi seit seinem Erscheinen am Messestand als Geisel genommen hatte, ließ sich nicht von Panik anstecken.
    „Aber irgendwo in dieser verfickten Stadt muss es doch einen Apple- Händler geben..!“
    Dirk war nah am Siedepunkt.
    „Kann ich ihnen nicht sagen… ich komm aus Stuttgart….“
    Stuttgart, immer wieder dieses Stuttgart. Dirk schnaubte und schaute sich in der Runde um. Jan und Elke schauten ihn fragend an. Sie würden alles tun um zu helfen, aber auch sie standen inmitten der riesigen
    Hannoveraner Messehalle am Arsch der Welt und wussten keinen Rat.
    „Der Messestand sieht aber gut aus…“ versuchte Jan auch mal was Positives zu sagen. Hätte er das gemacht, wäre hier ein wenig mehr helle Eiche zum Einsatz gekommen und er hätte vielleicht auch irgendwie mehr mit Nachrichten und Typografie gespielt… aber das Design kam halt aus… Stuttgart… und er war nur verantwortlich für das was sich auf den 2 Monitoren abspielen sollte. Wobei „spielen“ und „ab“ da auch schon wieder sehr übertrieben war… Lächerliche 556 Kbyte, von denen er in seiner Hosentasche ein Backup auf Diskette hatte, waren alles was sich hier abspielen würde. Spielen – im Sinne von Dasein. Dasein auf den beiden Monitoren.
    Das war das Ziel und auch die Arbeit auf die Jan jetzt hier noch wartete.
    „Auf den Schirm!“ hätte Kirk in der Brücke der Enterprise gerufen und dann wäre da ein Bild erschienen.
    Hier waren sie leider noch nicht so weit. Die beiden 17 Zoll Monitore, die ganz schlicht in das Tresenensemble integriert waren, hatten Strom aber kein Bild.
    „Ich fahre jetzt in die Kackstadt und suche einen Apple- Händler!“ Dirk schäumte vor Tatendrang.
    „Zur Not klaue ich so ein Scheißding irgendwo.“
    Elke machte ihr sorgenvolles Gesicht.
    „Dirk, Du weißt schon, dass wir in einer Stunde den Termin mit Fegemeier und Dr. Stör haben…“
    Klar, wusste Dirk das. Stör und Fegemeier, die graue Eminenzen der großen deutschen Zeitung, die als letzte hier den Fuß in das große Weltweite Gewebe stecken wollte. Dirk rieb sich Nase, Stirn und Wangen. Alles fettig.
    „Ja weiß ich…“
    Elke kramte aus ihrer trendigen Tasche eine Packung Tempos und reichte sie Dirk. Gott, wie der Arme schwitzte.
    Jan sah sich auch hilflos um. Gabelstapler fuhren weiter hinten durch das Szenario. Irgendwo plärrte Musik aus einem Gerät.
    „Wir lesen unsere Nachrichten ja auch nicht im Radio vor…“
    Jan konnte sich noch sehr gut an dieses Zitat erinnern. Vor ca. 6 Monaten hatte er seine Entwürfe für eine FAZ-Nachrichten-Homepage präsentiert. Sorgfältig hatte er mit Logo und Typografie gespielt. Mehrere richtig gute Layouts. 800 Pixel Breite … 640 Spalte.. Times New Roman … 16 Punkt gekontert mit einer Arial für die Sublines…
    Stunden hatte er designed und sich im WWW inspirieren lassen. Alle deutschen und alle angloamerikanischen Seiten nach den neuesten Trends abgesucht.
    Mehrspaltigkeit?
    Teufel, nein?
    Umbruch?
    Vergiss es!
    Blocksatz?
    Science Fiction!
    „Wir werden unsere Nachrichten doch auch nicht im Radio vorlesen…“
    Das war dann der Lohn für all das Schöne. Speichern im Mülleimer. Was tat er hier überhaupt?
    „Okay, Elke. Ich weiß Du bekommst das hin.“
    Dirk sprach es aus und Jan wusste sofort was er von ihr wollte, aber auch, dass sie es schaffen würde.
    „Wenn ich noch nicht zurück bin, denk Dir was aus. Ich steck im Stau, hab Panne, hab was schlechtes gegessen…“
    Dirk hatte die Packung Tempos aufgerissen und sich mit einer Doppellage das Gesicht abgerubbelt.
    „Sag denen ich komme und alles wird laufen…“
    Elkes Lächeln verzog sich zu der schiefen Grimasse, die Jan so ein paar Mal schon gesehen hatte.
    „Dirk, ich weiß nicht…“
    „Du schaffst das! Ihr schafft das!“
    Dirk war Hans Dampf in allen Gassen und zog ein riesiges Bündel Scheine aus der Tasche.
    „Für den Notfall, und holt Euch bitte Quittungen!
    Jan staunte nicht schlecht über die ca. 1000 DM Bargeld, die Dirk Elke in die Hand drückte.
    „Okay, dann bis später…“ damit drehte sich der Geschäftsführer von „afferto- wir bringen sie ins Internet“ um und verschwand im Getümmel. Jan und Elke standen alleine vor dem Eichenensemble. Im Hintergrund toste das Chaos. Irgendwas kippte laut krachend um. Jemand fluchte. Jan schaute Elke an und musste an die gestrige Nacht denken.
    „Der spinnt doch!“
    Elke knüllte das Geld zusammen und drückte es Jan als Rolle in die Hand. Sie war sauer.
    „Der hat ja wohl ne Meise…“
    Jan, der eher undiplomatisch war und vielleicht auch deshalb Designer, konnte ihren Frust gut verstehen.
    „Vielleicht fällt uns ja noch was ein.“
    Jan wollte was Tröstliches sagen, denn er verstand schon den Irrsinn der Lage. Ihr Chef hatte sie gerade vor einem halbfertigen Messestand stehengelassen, auf dem sich spätestens heute Nachmittag ihr Auftraggeber wohlfühlen sollte. Dazu gehörte dann auch das Funktionieren der beiden Monitore und eine Verbindung ins WWW.
    „Ich habe ihm vor Monaten gesagt, wir müssen rechtzeitig alles für den Stand buchen!“
    Elke kramte in ihrer Handtasche. Jan schaute sich hilflos um. Dabei knetete er das Bargeld in seiner Hand.
    „Aber er hat ja den ganzen Kram in seinem Chaos verdaddelt …“
    Elke hatte die Kaugummis endlich ganz unten aus der Tasche gefischt und hielt Jan die Packung hin.
    “ … und ich kann mich gleich mit diesen beiden Dodos rumschlagen…“
    Selten hatte Jan Elke so angepisst erlebt, aber so lange arbeiteten sie ja auch noch nicht zusammen. Jan nahm eines der Kaugummis und zog den Geschmack in sich auf. Hangover kannte er nur von wilden Partys oder dem schlechten Faith no more Konzert ’91, das nur durch die geniale Vorband L7 erträglich in Erinnerung blieb. Dass so eine Messestadt an Messetagen kein einziges Hotelbett mehr frei hatte und sie deshalb gestern in seiner Heimatstadt Lüneburg genächtigt hatten – alles sehr neu und aufregend für Jan. Die Nacht war aufregend, aber auch früh zu Ende, weil Hannover ja nun auch nur gefühlt gerade ums Eck war.
    „Funktioniert denn wenigstens das Telefon schon?“
    Elke war in Aktion gegangen und hinüber zu dem arschcoolen Messebau-Techniker aus Stuttgart.
    „Ja, das sollte es schon seit einer Weile…“ die trockene Antwort kam sofort von dem auf Knie hockenden Schrauber.
    „Sollen wir Michael anrufen? Ob der vielleicht eine Idee hat?“
    Elke schaute Jan an und hatte den Hörer schon in der Hand und wählte.
    „Wenn der nicht noch am Schlafen ist…“ warf er ein. Michael war der studentische Systemadministrator, der meistens erst gegen mittag in der Firma erschien und oft noch sehr verklebte Augen hatte … mit sehr seltsamen Pupillen.
    „Scheiße.“
    Elke schaute auf die Uhr und legte den Hörer auf. Es war erst 7:30 Uhr und selbst Vicky hatte jetzt wohl gerade erst mit dem Duschen in ihrer Wohnung angefangen. Berlin antwortet nicht. Ratlos schauten sich die beiden an. Das Getöse in der Halle war ein einziges Inferno.
    „Wollte Sascha nicht auch schon hier sein?“
    Jan schaute sich um nach dem Freund und Kollegen, der wohl in Hangover bei einem alten Freund hatte übernachten wollen.
    „Jo, wir sind jetzt hier fertig.“
    Meister Röhrig Messebau stand plötzlich neben Jan und Elke und hielt einen Schlüsselbund in die Höhe.
    „Darf ich ihnen mal kurz alles zeigen.“
    Elke und Jan schauten sich ratlos an.
    Jan hatte die Geldrolle vorn in die Hosentasche gesteckt und dachte gerade an Elkes Mitsubishi irgendwo da draußen auf einem Parkplatz.
    Flucht.
    Das Weib nehmen.
    Loslaufen.
    Ins Auto springen.
    Gas geben und Richtung Süden auf der Landstraße die Scheiße hier verlassen.
    „Können sie warten bis unser Chef wieder da ist?“
    Nein, das konnte Meister Eichefurnier-Messetresen offenbar nicht.
    „Ich hab hier noch drei andere Objekte…“
    Kurzerhand erklärte er die Schalter hinter dem Tresen, die Jan vorher noch gar nicht wahrgenommen hatte.
    „Hauptschalter, Bühnenbeleuchtung, Decke…“ alles so Elektrokrams.
    „Und hier am wichtigsten: die Schlüssel für die Schränke und den Nebenraum… „
    Jan staunte nicht schlecht. Nebenraum hatte er noch gar nicht wahrgenommen.
    „Auf Messen wird wahnsinnig viel geklaut…!“
    Ach, herjeh. Deswegen die fast unsichtbare Tür im Eichefurnier. Jan folgte Elke, die hinter Meister Röhrig in das dunkle Kabuff gestiegen war.
    „Ist das ihre erste Messe..?“
    Jan wollte das bejahen aber Elke kam ihm zuvor.
    „Nein, ich habe schon ein paar Mal in Köln…“
    Jan staunte immer noch über Elke, die aus wilder Panik von eben scheinbar in einen anderen Modus übergegangen war.
    „Vielen Dank Herr Röhrig . Das sieht ja alles ganz gut aus. Ich kann die Abnahme allerdings so alleine nicht unterschreiben. Da habe ich keine Prokura.“
    Jan staunte was Elke so für Tricks drauf hatte und baute sich hinter ihr in voller Größe auf.
    „Ja, das tut uns leid…“
    Jan schob sich da auch verbal mit rein.. „ aber da müssen auch Dr. Fegefeuer und äh… Professor Sturz drauf gucken….“
    Röhrig, der ein gestandener Messebauer aus dem Schwarzwald war, schnaubte und versuchte weiter eine Unterschrift von Elke auf einemKlemmbrett zu bekommen. Aber da hatte er keine Chance mehr. Elke hatte wieder Oberwasser und Fahrt aufgenommen und vertröstete den guten Mann auf den Nachmittag. Dann wären alle wichtigen Leute hier vor Ort und Böttcher würde sicher seine Abnahme bekommen. Mit ihrem engelsgleichen Sphinx Lächeln schob sie Röhrig aus der Tür, nahm die Schlüssel aus seiner Hand und schaffte es dabei ganz professionell zu wirken.
    „Wow!“
    Jan war echt beeindruckt.
    „Wow! Wie hast Du das denn hinbekommen. Prokura! Tolles Ding.“
    Jan strahlte sie an und überlegte immer noch was er hier gerade erlebte. War das ein Film? Elke schnaubte und machte ein sehr ernstes Gesicht.
    „Fegefeuer? Im Ernst..!?“
    Jan stockte der Atem.
    „Ehm..?“ Jan stotterte ein wenig. Hatte er was falsches gesagt? Elke schaute ihn todernst an.
    „Genau da schicke ich Dich jetzt hin!“
    Jan war verdutzt und wurde rot. Elke schritt auf ihn zu und drehte ihn herum.
    „Da bringe ich Dich jetzt hin!“
    Ihr Arm schob ihn sanft am Rücken vorwärts. Erst jetzt verstand er.
    „Oh nein!“
    „Oh doch..!“
    Elke hauchte ihn ins Ohr.
    „Doch da gehen wir jetzt zur Beichte und Buße und fragen nach einem Adapter!“
    Jan hatte erst jetzt den Stand bemerkt, der sich auf der rückwärtigen Seite des Eichefurnier Traums der FAZ im Aufbau befand.
    „Nein! Ich zerfalle zu Staub, wenn ich eine Kirche betrete!“
    Jan flehte um Gnade.
    „Die haben ein Ohr für alle Sünder!“
    Elke schob ihn weiter.
    „Katholische Kirche Online – 24 Stunden. Für sie da…“
    Früher hatten sich Baumeister zu Tode gestürzt, wenn sie schiefe Kirchtürme verzapft hatten – hier hätte der Texter vielleicht auch gleichen Weg wählen sollen. Jan grinste und genoß ihre Hand an seinem Rücken.
    „Nein, Schwester. Ich habe zuviel gesündigt – und mein Herz ist nicht rein – Und ich begehe eines anderen Weib –
    Und ich bin beschnitten – Und ich habe früher Hostien geklaut – Und ich bin letztes Jahr aus dem Verein ausgetreten….“
    Elke grinste und drehte Jan an der Schulter.
    „Wir können auch zuerst zur Bundeswehr!“
    Jan lachte laut: „Nein, das geht auch nicht. Ich bin Zivi.“
    Jan mochte das. Mit ihr war alles leichter. Mit ihr war es ein Spiel. Und es ging um viel. Viel Geld. Geld war ihm aber irgendwie egal. Er hatte immer genug davon, ohne fein als reich gewesen zu sein. Und auch in den BWL Vorlesungen interessierte ihn Geld überhaupt nicht. Es waren nur Ziffern. Meist mit vielen Nullen daran.
    „Hallo, Guten Tag. Wir sind hier wohl ihre Nachbarn und haben ein Problem.“
    Zackig und sehr schneidig schaute der junge Unteroffizier hinter demTresen auf. Elke hatte Jan nah an den Tresen geschoben und strahlte über seine Schulter ihr chinesisches Grinsekatzenlächeln. Der leicht pickelige hatte natürlich nur Augen für die Katze.
    Aber der Kater sprach: „Haben sie vielleicht einen Mac zu VGA Adapter. Wir haben da einen vergessen. „
    „Ehm…!
    Jan ahnte schon, dass er auch fragen hätte können, wie sich die neuen Tie-Fighter bei der Luftwaffe so machen, oder ob die neuen Laserwaffen gut in der Hand liegen.
    „Also wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mal ihren Techniker dahinten fragen…“
    „UFZ Schneider! Haben wir Mac zu Vga Adapter?“
    So jung so zackig kam es aus dem jungen Mann am Tresen, der nur kurz den Blick von Elke abwandte und nach hinten in den Stand seine Frage bellte. Jan war überrascht, hatte aber auch das Gefühl, dass die Uniformhülse vor ihm nicht wirklich eine Ahnung von dem Gesagten hatte.
    „Schönen Stand haben Sie hier.“
    Elke grinste den Filzstoffel an und griff sich eine der ausgelegte Broschüren: „Waffengattungen. Komm zu uns!“
    Jan starrte immer noch eiskalt in das filzige Grau vor sich. Diese Uniformen sahen aus als wenn man sie eigentlich mir zum Schwitzen anzog. Und wie er von Kumpels wusste, genau dafür waren sie am besten geeignet.
    Schon lag ihm ein zynischer, garstiger Spruch auf den Lippen, und nur Elkes sanfte Hand an seinem Rücken hielt ihn davon ab die Wurst hinter dem Tresen zu verarschen.
    Die Kletterbewegung ist beim Erreichen der Baumspitze einzustellen.
    „Interessieren Sie sich für eine Karriere in der Bundeswehr?“
    Die Uniformwurst hatte das gerade wirklich in Richtung Elke gefragt. Jan spannte sich an trotz Hand im Rücken.
    „Watt is Uwe?“
    Neben Uniformwurst war ein moppeliger Bürstenhaarschnitt in einem olivgrünen Overall aufgepoppt. Es fehlte wohl das Sir, yes Sir dachte Jan und grinste in sich hinein.
    Die Schwimmbewegung ist beim Berühren der Wasseroberfläche aufzunehmen.
    Uniformwurst Uwe wollte was sagen und vielleicht auch seine Autorität untermauern, aber Elke kam ihm zuvor.
    „Hi – das ist ja nett von ihnen. Herr Schneider!“
    Was machen wir, wenn wir auf eine Mine treten? Normaler Weise ein paar Meter in die Luft fliegen.
    Jan hatte gerade die besten Bundeswehrwitze aus seinem Hinterkopf gekratzt als Elke wieder mal alles in Bahnen brachte.
    „Schneider – die Herrschaften hier haben eine technische Frage.“
    Jan hatte keine Lust das hier länger auszuhalten.
    „Hallo Herr Schneider, wir sind der Stand nebenan und wir bräuchten dringend einen MAC to VGA Adapter.
    Haben sie so was zufällig noch rumfliegen? Wir würden es auch bezahlen?!“
    Schneider grinste fett und lehnte sich gemütlich wie in seiner Stammkneipe über den Tresen, ohne dabei die Uniformwurst auch nur eines Blickes zu würdigen.
    „Mac? Bei der Bundeswehr? Ha. .. haha… Wir haben hier noch Lochkarten..“
    Dabei hielt er etwas in der rechten Hand hoch, das Jan zumindest als RS-323 Schnittstellenkabel erkannte.
    „Nee, zu Hause hätte ich so was sofort für Euch,“ duzte PC-Bediener Schneider kumpelhaft über den Tresen, „aber hier auf dem Stand bin ich schon froh, dass ich die beiden 386 er zum Laufen bekam.“
    Jan hatte eigentlich nichts anderes erwartet und grinste ein wenig mitleidig in Richtung der 386er Landesverteidigung.
    „Haben sie vielleicht eine Idee wo wir hier und jetzt…“
    Jan fragte das höflich und pflichtbewusst und wollte eigentlich nur schnell weg.
    „Geht doch mal rüber zu den Weihrauch-Brüdern!“
    Das kam herzlich und direkt und Jan wusste sofort in welche Richtung Schneider da zeigte.
    „Die sind immer bestens ausgestattet.“
    „Jo Danke, wir schauen mal.“
    Er war schon zwei Schritte weg vom Tresen der Landesverteidigung und brauchte erstmal eine Pause.
    Bundeswehr ging gar nicht, allein schon wegen dieser Filzlappen, die man da tragen musste.